Karten Sitemap Biographische Daten


Abdrücke und Hohlformen


 

Die Technik, mithilfe von nassem Papier Abdrücke der skulptierten Maya-Kunstwerke zu nehmen, erlernte Maudslay 1882 von Désiré Charnay, als sie sich zufällig in Yaxchilán begegneten (damals als Menché bekannt und kurz darauf von Charnay in Cité Lorillard umbenannt; beide Namen sollten jedoch von "Yaxchilán" verdrängt werden). Es war eine einfache Technik, schreibt Maudslay in seinem Feld-Tagebuch, "and I wish I had known it before".

Um die Abdrücke der jeweiligen skulptierten Oberfläche anzufertigen, wurde das nasse Papier (vorzugsweise das besonders weiche, poröse Papier, in das spanische Orangen eingewickelt wurden) auf das Objekt gelegt und mit einer Bürste bis in die letzten Ritzen und Lücken gepreßt. Der Abdruck wurde Schicht um Schicht verstärkt, ehe man ihn schließlich trocknen ließ. Wenn die Hitze der Sonne nicht ausreichte, wurde ein Feuer in der Nähe der Abdrücke entzündet.

Thomas Gann in Lubaantún, British Honduras Thomas Gann (1867-1938), "a doctor by profession and an archaeological explorer by avocation"196, wandte diese Technik einige Jahrzehnte später bei seinen Expeditionen durch den Urwald von Belize ebenfalls an. In seinem erstmals 1925 erschienenen Buch "Mystery Cities" beschreibt er sein Vorgehen dabei folgendermaßen:

The technique in making paper casts is simple, though a large surface requires endless patience in carrying it out. Layers of wet paper - the softer the better - are first placed over the sculpture, and well beaten in with a hard-bristled brush till they take the shape of the design, fitting in snugly to every crevice. Layer after layer is applied in this way, the outer layers being covered with paste to stiffen them, and all hollows and spaces filled in with plugs of wet paper made to fit accurately into them; finally the whole is allowed to dry in the sun, when it will be found that the resultant cast, though not quite so good as a plaster mould, is infinitely lighter, and easier of transport on mule-back, where every extra pound of equipment tells."197

Mit den so hergestellten und wieder zusammengefügten Teil-Hohlformen der Skulpturen konnten die Kunstwerke aus Gips rekonstruiert werden.

Maudslay fertigte auf seinen Expeditionen sowohl Papier- als auch Gipsabdrücke an; letztere waren zwar viel schwieriger zu transportieren, aber auch von besserer Qualität als die ersteren. Indem er so Kopien der Stelen, Altäre und skulptierten Wandpaneele sicherte, wollte Maudslay nicht nur aufklärerisch wirken und der öffentlichkeit die Schönheit der Maya-Kunstwerke vermitteln, sondern vor allem war es ihm auch ein Anliegen, die künstlerischen Hinterlassenschaften der Maya für die Nachwelt zu bewahren und ein weiterführendes Studium ihrer Kultur zu ermöglichen. Denn daß seine Kopien die durch Erosion und Mensch bedrohten Originale wohl überleben würden, vermutete er stark:

And it was with the desire to preserve some further record of these remains, and especially to take exact copies of the carved hieroglyphic inscriptions, before the disintegrating effects of a tropical climate and the careless mutilations by man had rendered them useless for study, that the explorations were undertaken, the results of which are given in this publication."198

Die Abgüsse sollten als leicht zugängliche Abbilder der Originale den Mayanisten als Studienobjekte dienen. Desweiteren boten sie Illustratoren eine genaue Vorlage bei viel besseren Licht- und Umweltbedingungen, als dies in ihrem natürlichen Umfeld der Fall sein konnte.
Und nicht zuletzt wurden die teilweise stark moos- und schmutzverkrusteten Skulpturen durch den Prozeß der Abdruck-Anfertigung gereinigt, denn wenn die getrocknete Papier- oder Gipsform abgenommen wurde, hatte sich auch der letzte nicht-zugehörige Krümel mit ihr verbunden und wurde zusammen mit ihr entfernt. Daß die Skulpturen dabei schön sauber wurden und die komplizierten Muster der Hieroglyphen und Ornamente wieder klarer hervortraten, war ein angenehmer Neben-Effekt, der viel zu der Qualität der Maudslay´schen Aufnahmen beitrug.

Während der Zeit von Maudslays Feldforschungsaktivitäten war die Begeisterung für die Anfertigung von Gipsabdrücken allgemein auf einem Hochpunkt. Bereits im 16. Jahrhundert erfunden, wurde diese Technik erst in den 1830er Jahren in größerem Umfang angewendet, als man in Nürnberg begann, Abgüsse mittelalterlicher Skulptur herzustellen199. Während hinter der Anfertigung dieser Abgüsse in Deutschland vermutlich die unausgesprochene Absicht stand, den Deutschen ein Bewußtsein für ihre gemeinsamen nationalen Wurzeln zu wecken, hatte die zweite Welle der Gipsabguß-Begeisterung in den 1860er Jahren eine Verbesserung des Geschmacks in der Herstellung von Kunst und Handwerk zum Ziel. Diese Bewegung gipfelte in der "International Convention for promoting universally Reproductions of Works of Art", einer Konvention, die von 15 europäischen Herrschern unterzeichnet wurde.

Giuntini fertigt Papierabdrücke von der 'Großen Schildkröte' in Quiriguá an, 1883 In London gab es eine erfolgreiche, auf Gipsabgüsse spezialisierte Firma, Brucciani´s, und es war ein Techniker dieser Firma, den Maudslay für seine Expeditionen nach Quiriguá und Copán anheuern sollte: Mr Giuntini.200
Maudslay war voll des Lobes für den bis dato tropen-unerprobten Giuntini. In seinem 1883er in Quiriguá geführten Feld-Tagebuch201 notiert Maudslay, welch ein guter Mann und Reisegefährte Giuntini sei, der sich nicht beklage und für seine Arbeit begeistere. Unter den schwierigen Umständen der Feldarbeit, die, wie auch bei Maudslays anderen Expeditionen, durch schlechte Witterung und periodische krankheits- und unwilligkeitsbedingte Abwesenheit der indigenen Arbeitskräfte oft an den Rand der Paralyse getrieben wurde, mußte Maudslay der beständige Giuntini ein Quell des Trosts gewesen sein. Oft heißt es in dem Tagebuch neben den Einträgen zu der aktuellen Zahl der kranken mozos, des fehlenden Materials oder getürmten Maultiere: "Giuntini arbeitete den ganzen Tag".
In seiner "Archaeology" schreibt Maudslay, "Mr. Giuntini [...] spent two winters with me in the forests, and did most excellent work under very trying conditions"202.

Nach den beiden Expeditionen nach Copán und Quiriguá verbrachte Giuntini in London weitere sieben Jahre mit Arbeit an den Abgüssen.

Die Herstellung der Abdrücke hatten Maudslay beträchtliche Ausgaben verursacht. Nicht nur der Transport des Rohmaterials nach Mittelamerika, sondern vor allem auch der Rücktransport der fertigen Abdrücke, die gut gepolstert und vor Feuchtigkeit geschützt in voluminösen Kisten verwahrt wurden, war ein kostspieliges Unterfangen.
Umso größer war seine Erbitterung, als das Victoria and Albert Museum in Kensington, dem er die Abdrücke überließ, die Stücke nach einer kurzen Ausstellung in seinen Kellergewölben einlagerte, wo sie jahrelang dem Verfall und hungrigen Ratten ausgesetzt waren.
Maudslay protestierte denn auch zu verschiedenen Gelegenheiten; am schärftsten in einem Brief an den Präsendeten des Erziehungsministeriums vom 6.12.1921.203

Schließlich wurden die wertvollen Kopien von T.A. Joyce, selbst Mayanist und stellvertretender Kurator der ethnographischen Abteilung des British Museum, von ihrem finsteren Schicksal erlöst. 1922 konnte er die Trustees des BM überzeugen, nicht nur die Original-Steinskulpturen, die Maudslay aus Yaxchilán und Copán mitgebracht hatte, anzunehmen, sondern auch die Abgüsse, und eine Auswahl von Originalen und Kopien in einer permanenten Ausstellung im British Museum zu zeigen.
Diese Ausstellung wurde 1923 eröffnet, und die Galerie, in der die Stücke gezeigt wurden, wurde The Maudslay Room genannt - eine Ehre, die vorher noch keiner lebenden Person zuteil geworden war.

vorherige Seite

Seitenanfang

nächste Seite